Zurück in die Normalität?

Zurück in die Normalität?

Eine zweite Welle war schon lange vorhergesagt. Die Stärke und Schnelligkeit in der Schweiz überraschte jedoch viele. Einiges hat sich seit der ersten Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und dessen Krankheit COVID-19 in der Schweiz verändert. Leider längst nicht alles zum besseren.


Besseres Verständnis der Krankheit

Mehr als ein halbes Jahr ist vergangen, die Forschung zum Virus ist auf Hochtouren. Auch die Behandlungsmethoden haben sich verbessert. Ein weiterer massiver Patzer wurde auch behoben: Schutzmaterial ist nun endlich in grossen Massen verfügbar. Denn trotz Pandemieplan, wurden die Lager an Schutzmaterial nie aufgebaut. Der Bund hatte dies an Kantone und Wirtschaft delegiert, beide schissen auf die Empfehlungen. Es gibt eine gewisse Routine mit Einschränkungen und Massnahmen, dies ist jedoch nicht nur positiv. Die etwas übertriebene Vorsicht anfangs Jahr ist mittlerweile einem zu lockeren Umgang gewichen.


Staat ist wieder mehr auf Kosten statt Leben bedacht

Der anfängliche Schockzustand der Schweizer Regierung sorgte für einen Geldregen. Um die Akzeptanz der Massnahmen wie z.B. den Shutdown zu steigern, wurden riesige Hilfspakete geschnürt. Doch schon nach kurzer Zeit lösten sich diese zu einem kritischen Teil wieder auf. War anfangs eindeutig der Schutz vieler eine Priorität – nachdem mensch die verheerenden Folgen im Nachbarland Italien gesehen hatte – so drängte wieder der finanzielle Gedanke in den Vordergrund. An Massnahmen wurde nur gerade ergriffen, was keine Ausfallentschädigungen nach sich zog.


Am besten sah man dies an den Kurzarbeitsgeldern und -Ansprüchen. Im März wurden die Voraussetzungen für die Kurzarbeit – eigentlich ein Mittel um Entlassungen in krisengebeutelten Industrien zu vermindern – massiv runter geschraubt. Somit konnte schnell Geld fliessen. Nach und nach wurde dies jedoch wieder stärker angezogen. Im September flogen dann Arbeiter*innen auf Abruf aus der Kurzarbeit heraus – nur um jetzt in der zweiten Welle nachträglich wieder reingenommen zu werden. Gerade in der Gastronomie ist die Arbeit auf Abruf ein weit verbreitetes Phänomen. Dies liegt auch an den Schwankungen, wie sich Arbeit über das Jahr verteilt. Der L-Gesamtarbeitsvertrag sieht keine Pflicht zu vereinbarten Stunden vor, lässt also diese Lücke ausdrücklich und absichtlich offen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es über die Monate verteilt Pensumsschwankungen von 20% gibt und diese Arbeiter*innen aus der Kurzarbeit herausgeflogen wären. Erst Ende Oktober entschied sich der Bundesrat, diese Arbeiter*innen wieder in die Kurzarbeit aufzunehmen.


Staat und Kantone versuchen zu knausern

Im März richtete der Bundesrat noch mit grosser Kelle an. Hilfsgelder wurden grosszügig verteilt. In den ersten Wochen war es ersichtlich, dass die Epidemiolog*innen eine starke Stimme hatten, das Debakel des überlasteten Bergamo half da kräftig mit. Erst nach ein paar Wochen und ein paar Milliarden an Hilfen, kam das bürgerliche Gewissen wieder hervor und versuchte schnell zurückzukrebsen. Als Mitte Oktober die Zahlen sprunghaft anstiegen, wartete der Bund nochmals zu. Es gibt sicherlich viele Gründe dafür, doch einer davon ist zweifelsfrei die Haftung: Der vom Bundesrat gelobte Föderalismus ist auch ein Feigenblatt dafür, dass der Bund keine Einschränkungen aussprechen muss, und damit auch nicht für die Folgen haften muss. Bund und Kantone befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen Allgemeinwohl und dem Wohle der Wirtschaftseliten. Immer öfter fallen sie dabei auf die Seite der Wirtschaftsinteressen.


Die Linke sucht berechtigte Kritik

Das erstarken der sogenannten „Corona-Rebell*innen“ ist nicht aus der Luft gegriffen. Es ist zu einfach, zu sagen, dass dieser wild zusammengewürfelte Haufen nur aus Esoteriker*innen und Nazis besteht, auch wenn diese zwei massiven Zulauf gewinnen. Die Verschwörungstheoretiker*innen nähren sich an den Existenzängsten vieler und treffen auf fruchtbaren Boden. Denn es gibt durchaus berechtigte Kritik daran, wie die Krise bisher gehandhabt und vor allem kommuniziert wurde. Beispiel: Wer nach Asien schaut, einer pandemieerprobten Region, sieht den alltäglichen Gebrauch von Masken. Die Regierung lehnte dies im März noch strikte ab. Nun gilt auch hier eine grosszügige Maskenpflicht. Der Grund für die Kehrtwende ist recht simpel: Im März hatte es kaum Masken für das Gesundheitspersonal, wenn Private diese Masken dann auch noch aufgekauft und gehamstert hätten, dann wäre nichts übrig geblieben für das Gesundheitspersonal. Solche verlogene Kommunikation ist gefundenes Fressen für die Verschwörungstheoretiker*innen.


Die Krise schuf wenig neue Probleme, sondern verstärkte nur die Alten. In den USA zum Beispiel haben Schwarze eine fünfmal höhere Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben. Nicht etwa aufgrund genetischer Unterschiede – welche es schlichtweg nicht gibt – sondern aufgrund der sozialen Benachteiligung durch Rassismus und Klassengesellschaft. Viele Vorerkrankungen, welche ein Risiko darstellen, hängen direkt mit Armut, insbesondere einer schlechteren Gesundheitsversorgung, und beschissenen Arbeitsbedingungen zusammen. COVID-19 ist eine Krankheit, welche entlang unserer gesellschaftlichen Struktur läuft. Nicht nur Alte sterben eher an der Krankheit, sondern auch Arme und an den Rand gedrängte. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nebeneffekte der Pandemie treffen diese nochmals extremer. Menschen am Rande der Gesellschaft wurden entweder – wie z.B. Sans-Papiers – gar nie in die Auffangmassnahmen aufgenommen, oder wurden aber sehr schnell wieder hinausgetreten. Asylbewerber*innen werden immer noch in Auffangzentren eingepfercht, wo das Virus sich schnell und ungezügelt verbreiten kann.


Überforderte Ämter

Die Arbeitslosenkassen sind heillos überfordert, da sie sich nun einerseits wieder mit gestiegener Kurzarbeit rumschlagen müssen und es gleichzeitig einen sprunghaften Anstieg an Arbeitslosen gibt. Doch wie so oft scheisst die Regierung auf die Arbeitslosen. Unerbittlich halten die Ämter an den Eingabefristen und der Papierflut fest, obschon die Betreuer*innen keine Zeit mehr haben, den Menschen den äusserst anspruchsvollen Papierkram zu erklären. Das Ergebnis sind Einstelltage, Frust und existenzielle Bedrohungen. Die Sesseletage versucht nun bereits Gelder einzusparen und lässt sämtliche Kulanz vermissen in diesen schwierigen Zeiten1


Wir sind nach einer ausserordentlichen Lage wieder in einer gesellschaftlichen Normalität angelangt und die Regierung ist wieder zurück auf Feld 1: Die Leute sind wieder auf sich alleine gestellt. Die vom Bundesrat beschworene Einheit und Solidarität verkommt zur Farce. Wer bezahlt den die solidarische Selbstisolation: niemand. Arbeiter*innen bleiben auf ihren Lohnausfällen sitzen. Warum finanziert das Parlament ein milliardenschweres Hilfspaket für die Flugbranche, aber weigert sich, den beklatschten Held*innen im Gesundheitsbereich eine finanzielle Entschädigung zu zahlen? Wer sich den Zustand der essentiellen Berufe ansieht, merkt, dass die „Solidarität und Dankbarkeit“ der Regierung keinen Rappen wert ist.


Was jetzt?

Mit dem Rückgang an Unterstützung durch die Regierung gewinnen die NGOs und die solidarischen Hilfsprojekte weiter an Bedeutung. Viele Projekte übernehmen jetzt zum Teil schon Aufgaben des „Service Public“, welche der zunehmend privatisierte Staat nicht mehr leisten will oder noch nie geleistet hat. Jede solche Krise birgt für die revolutionäre Linke eigentlich eine massive Chance, da dass Geflecht aus Staat und Kapital erneut sein scheitern und Egoismus zeigt. Im Unterschied zum Staat müssen wir nun nicht nur grosse Worte von uns geben, sondern auch konkrete Taten folgen lassen. Der Staat sprach viel von Solidarität und liess uns dann im Stich. Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen. Wir sollten uns vom Gedanken verabschieden, dass grosse und plötzliche Schritte etwas verändern werden. Anfangen muss es im kleinen: Von Unterstützung in Einzelfällen über grössere Arbeitskämpfe hin zu einer Bewegung von unten. Gleichzeitig sollten wir die Unzufriedenheit mit der Situation abfangen. Denn momentan kanalisiert sich diese in den Verschwörungstheorien und dem sichtbarsten – wenn auch falschen – „Widerstand“ gegen die Regierung in Form der Corona-Rebell*innen. Dabei geht es nicht darum die Bewegung zu unterwandern, sondern Leute aus dieser rauszuholen – mit einer berechtigten und anti-autoritären Kritik.


Klassenkampf heisst auch Care-Arbeit

Unterstützung in Arbeitskämpfen ist nicht einfach eine Paragrafenreiterei. Solide Arbeit in diesem Feld heisst auch, den Leuten zuzuhören. Viele Menschen mit Arbeitsproblemen fühlen sich isoliert werden von Ämtern oder ihren Chef*innen verarscht oder ausgebeutet. Solidarität heisst also auch, zu jenen zu schauen, welche unter dem psychischen Druck zusammenzubrechen drohen.

 

Anmerkungen

1) Grossartig war auch, dass im Lockdown der Bundesrat beschloss, dass vorerst keine Arbeitsbemühungen eingereicht werden müssten. Dies kommunizierten sie so schwammig, dass der Eindruck entstand, es müssten keine Arbeitsbemühungen mehr gemacht werden, faktisch mussten die jedoch einfach später als sonst eingereicht werden.

 

Zurück